Monatslied März

IN EINER FERNEN ZEIT – EG.E 4: neues Wochenlied zum Karfreitag von 2010.

Landeskantor Matthias Krampe erzählt, was ihn an diesem schon extrem gut angenommenen neuen Passionslied fasziniert, liefert einen schlichten Satz und eine kleine Anregung für eine Intonation.

Zum Lied und den Autoren:

Im Jahr 2010 hat die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck einen Wettbewerb für neue Passionslieder initiiert. Aus 289 Texten wurden sieben ausgewählt und in einem zweiten Schritt zur Vertonung eingeladen. Eingereicht wurden nicht weniger als 596 Melodien. „In einer fernen Zeit“ in dieser vorliegenden Vertonung wurde einmütig auf den 1. Platz gewählt.
In: https://www.ekd.de/V-Fur-uns-gestorben-Wiederentdeckung-des-Kreuzes-488.htm
lesen wir als Würdigung des Wettbewerbsiegers:

Zunächst betrachtet der Dichter (Otmar Schulz) die Passion: „In einer fernen Zeit gehst du nach Golgatha, erduldest Einsamkeit, sagst selbst zum Sterben ja. Du weißt, was Leiden ist. Du weißt, was Schmerzen sind, der du mein Bruder bist, ein Mensch und Gottes Kind.“ Der Angesprochene, Jesus, bringe sein Leben dar, sterbe verlassen den Kreuzestod und lebe im Leiden vor, „was wirklich trägt und hält“. Die Bitte um eine innere Erfahrbarkeit des Ostergeschehens beschließt das Lied: „Erstehe neu in mir. Erstehe jeden Tag. Erhalte mich bei dir, was immer kommen mag.“ – Das Lied trägt Züge der Frömmigkeit der Aufklärungszeit: Das Geschehen liegt historisch in der Ferne. Es betont die Menschheit Christi und zeichnet ihn ebenso als Vorbild wie als Bruder im Leiden, einem Leiden freilich, das die Folter ausspart und vor allem das seelische Leid thematisiert. Wichtig sind dem Dichter die individuelle Bedeutung des Geschehens im Hier und Jetzt und die Wendung hin zum Osterereignis.

In diesem Artikel über den Lieddichter von 2009 kommt Otmar Schulz auch selbst zu Wort: https://www.cz.de/lokales/mystiker-am-mikrofon-F526ED4A74B3FEF4756F545BBA.html

„Die Distanzlosigkeit zu Jesus schmerzt mich oft. Die Respektlosigkeit wird dem Wesen Gottes nicht gerecht“, sagt Schulz an diejenigen gerichtet, denen Jesus niemals fremd gewesen ist, ihn eher als „guten Kumpel“ verstehen, immer schon über ihn Bescheid wissen. Dagegen erlebt er Gott als einen Fremden, der das eigene Weltbild in Frage stellt. Es ist dieser stille kontemplative Zug, der den roten Faden im Leben von Schulz darstellt. Dabei ist ein Berufsleben vor allem von der Medienarbeit geprägt, eine eher laute Angelegenheit. Doch gerade sein Verständnis von Theologie hat Schulz zur Zeitung getrieben. „Die Tiefe der mystischen Erfahrung, das kann man nicht jedem Gemeindemitglied zumuten“, sagt Schulz im Rückblick auf seine Berufswahl.

2011 schrieb Schulz an anderer Stelle: „Wir brauchen neue Lieder, die der Lehre und dem Leben des Jesus gerecht werden, wie wir es heute sehen und verstehen. Einfühlsam und nachdenklich dürfen sie sein, aber nicht traurig. Das Sterben Jesu ist nicht länger das Zentrum christlicher Botschaft, wichtiger ist, dass er in den Christen lebt und sie in seinem Geiste handeln.“ 
Diesem eigenen Anspruch wird sein Lied vollkommen gerecht.

Und wer noch mehr über Otmar Schulz erfahren will: hier ein sehr persönlicher Nachruf von Hartmut Handt:
https://www.emk-bildung.de/fachbereiche/emk-musik/nachruf-otmar-schulz

Zur Melodie:

Neben Brunions Melodie wurde eine zweite ausgezeichnet, durchgesetzt hat sich aber inzwischen eindeutig die von Brunion. Sie hat zwar einen wirklich großen Tonumfang, Sprünge, die auf dem Papier zunächst gar nicht so einfach aussehen, aber dann doch einen so zwingenden Verlauf, dass sie sich rasch einprägt und schnell mitsingen lässt.

Die Harmonisierung ist für mich wesentlicher Teil der Liedkomposition. Eigentlich ganz in d-Moll gehalten gibt es doch am Ende der zweiten Zeile die Modulation nach F-Dur. Hier klingt nicht nur der Hoffnungsschimmer der letzten Strophe bereits an – es wird auch die folgende Dreiklangsbrechung vorbereitet. In dieser steckt ein F-Dur-Dreiklang, das hilft, auch wenn die Harmonisierung hier bereits schon wieder nach d-Moll zurückführt.

Unmittelbar einleuchtend in der Wort-Ton-Beziehung sind das Kreuzesmotiv bei „erduldest“ und der gewaltige Abstieg vom hohen „d“ bis zum tiefen „A“ in kürzester Zeit, natürlich ein musikalisches Bild für Tod und Grab. Karfreitagsseufzer ertönen beim „Amen“, das dann aber ruhig versöhnt ausklingt. 

Lassen wir am Schluss Andreas Brunion selbst erzählen, wie er zu der Melodie fand:
„Bisher hatte ich immer den Eindruck, Lieder werden geschenkt – eine Idee, eine Tonfolge – von Gott. Hier wurde ein Wettbewerb ausgerufen. Von daher hatte ich Bedenken, daran teilzunehmen – zudem für ein Passionslied mit Preisgeld. Viele der damals angebotenen Texte befremdeten mich, sprachen mich nicht an. Dieser blieb übrig. Als ich mich entschlossen hatte, sprach ich ein Gebet und versuchte etwas am Klavier. Es dauerte so etwa eine Viertelstunde. Am nächsten Tag holte ich es wieder hervor, verbesserte etwas und sandte es ab.“

(Matthias Krampe, Landeskantor)